25.07.2022 | Der Steuerratgeber - Kolumne im Wirtschaftsteil der Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten
Im vorliegenden Fall, den der Bundesfinanzhof (BFH) zu entscheiden hatte, erbte eine Tochter von Ihrem Vater ein Einfamilienhaus, das sie, zusammen mit diesem, bis zuletzt bewohnt hatte. Sie wohnte dort weitere sieben Jahre. Das Finanzamt ließ deshalb dieses bebaute Grundstück bei der Berechnung der Erbschaftsteuer der Tochter zusätzlich zu den ihr zustehenden erbschaftsteuerlichen Freibeträgen (zunächst) steuerfrei.
Hierzu muss man wissen, dass der Übergang eines Familienheims an Kinder, Stiefkinder oder Enkelkinder – letztere nur, sofern die Kinder bereits verstorben sind – im Erbfall von der Erbschaftsteuer in vollem Umfang befreit sein kann, sofern die Wohnfläche der Wohnung nicht mehr als 200 m² beträgt, der Erbe, sofern er nicht schon dort wohnt, unverzüglich dort einzieht und diese Wohnung zehn Jahre lang beibehält. Sollte eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben sein oder nachträglich wegfallen, ist es auch mit der Steuerfreiheit vorbei.
So auch hier. Die Tochter zog sieben Jahre später aus und ließ das Gebäude abreißen. Als das Finanzamt aufgrund der Ummeldung hiervon erfuhr und die Tochter nach ihren Gründen fragte, gab sie an, dass ihr Haus aufgrund vieler Mängel nicht mehr bewohnbar gewesen sei. Diesen Grund ließ das Finanzamt jedoch nicht gelten und verlangte nunmehr die Erbschaftsteuer für das geerbte Familienheim.
In ihrem hiergegen eingelegten Einspruch berief sie sich auf einen vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausnahmetatbestand. Nach diesem geht die Steuerfreiheit nach dem Auszug dann nicht verloren, wenn der Erbe „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ ist. Die Tochter trug ergänzend vor, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum mehr allein in dem Haus bewegen können und sei daher in eine Erdgeschosswohnung umgezogen.
Das Finanzamt war der Auffassung, dass eine eigene Haushaltsführung trotz der bestehenden, aber auch nicht näher nachgewiesenen gesundheitlichen Probleme nicht ausgeschlossen und aus diesem Grund die Steuerfreiheit zu versagen wäre. Auch beim Finanzgericht kam die Tochter nicht weiter. Sie müsste objektiv erkennbar durch Pflegebedürftigkeit oder Tod an der Haushaltsführung gehindert gewesen sein. Gebäudemängel und eine etwaige Unwirtschaftlichkeit der Sanierung genügten nicht.
Mit diesem Urteil wollte sich die Tochter nicht zufriedengeben und legte Revision beim BFH ein. Sie rügte die vom Finanzamt und Finanzgericht vorgenommene enge Auslegung der „zwingenden Gründe“
und vertrat die Ansicht, dass eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit ebenfalls berücksichtigt werden müsste.
Der angerufene II. Senat des BFH lehnte Wirtschaftlichkeitsüberlegungen als zwingende Gründe ab, weil der bauliche Zustand grundsätzlich den veränderten Lebensumständen angepasst werden könne und regelmäßig Gegenstand einer freien Entscheidung seien. Die Pflegebedürftigkeit an sich sah der Senat entgegen dem Finanzgericht nicht als ein allein zu beurteilendes Merkmal an. Vielmehr könnte ein Auszug auch gerechtfertigt sein, wenn der Erwerber unter Zuhilfenahme externer Hilfe- und Pflegeleistungen zwar in der Lage sei, weiter in dem geerbten Familienheim zu leben, diese aber ein solches Ausmaß annähmen, dass nicht mehr von einer selbständigen Haushaltsführung in dem betreffenden Familienheim gesprochen werden könnte. „Zwingende Gründe“ müssen das selbständige Führen eines Haushalts "in dem erworbenen Familienheim" unmöglich machen.
Die nötigen Feststellungen, ob gesundheitliche Beeinträchtigungen der Tochter tatsächlich bestanden und auch zur Unzumutbarkeit der weiteren Selbstnutzung geführt haben, muss das Finanzgericht nun unter Mitwirkung der Tochter nachholen und den Sachverhalt neu würdigen.
Schauen Sie in einem solchen Fall genau hin, ob nicht doch „zwingende Gründe“ im Sinne der Entscheidung des BFH (Az. II-R-18/20) für den Auszug, den Abriss oder den Verkauf des Familienheimes vorliegen, damit Ihnen die Erbschaftsteuerfreiheit insoweit erhalten bleibt.