Steuerliche Rückwirkung bei Erbengemeinschaften

23.01.2023 |  Der Steuerratgeber - Kolumne im Wirtschaftsteil der Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten

Hinterlässt jemand bei seinem Tod mehrere Erben, entsteht zwangsläufig eine Erbengemeinschaft, auf deren Beteiligte sämtliches Vermögen und alle Schulden des Erblassers in ihrer Gesamtheit übergehen. Jeder Nachlassgegenstand gehört am Todestag plötzlich jedem Beteiligten der Erbengemeinschaft anteilig in Höhe seines Erbanteils. Erbengemeinschaften bestehen oft für lange Jahre, manche gar über Generationen. So können zum Beispiel Kinder, Enkelkinder oder andere Erben dieser Beteiligten wiederum an die Stelle der Beteiligten treten. Doch sind Erbengemeinschaften nicht für die Ewigkeit bestimmt. Die Beteiligten hegen irgendwann aus den verschiedensten Motivationen heraus den Wunsch, reinen Tisch zu machen und sich „auseinanderzusetzen“.

 

Oft wird hier die Meinung vertreten, die Beteiligten an einer Erbengemeinschaft könnten sich derart auseinandersetzen, dass sie mit Rückwirkung auf den Todestag entscheiden, welcher Nachlassgegenstand welchem Beteiligten gehören soll (Erbauseinandersetzung). Meist ist in diesem Zusammenhang von einem Entscheidungszeitraum von sechs Monaten die Rede.

 

Dies ist aber nur die halbe Wahrheit. Grundsätzlich ist die Erbauseinandersetzung, die streng vom Erbfall selbst zu trennen ist, ein nicht erbschaftsteuerrelevanter (nachgelagerter) Vorgang. Die Erbschaftsteuer bestimmt sich immer nach den Verhältnissen am Tag des Erbanfalls. Es sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass eine nachträglich vereinbarte Verteilung des Vermögens (Erbauseinandersetzung), die nicht den Erbquoten entspricht, schenkungssteuerliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

 

Einkommensteuerrechtlich kann jedoch tatsächlich eine Rückwirkung vorgenommen werden. Gehört zum Nachlass zum Beispiel ein vermietetes Haus oder ein gewerbliches Unternehmen gehen diese mit dem Erbfall an die Erbengemeinschaft über und die Erben werden Miteigentümer bzw. Mitunternehmer. Grundsätzlich beziehen die Erben dann anteilig die Einkünfte, die der Erblasser zuvor bezogen hatte: Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bzw. aus Gewerbebetrieb. In einer eigens für die Erbengemeinschaft einzureichenden Steuererklärung müssen dann die gemeinschaftlichen Einkünfte ermittelt und auf die Beteiligten verteilt werden (Gesonderte und einheitliche Feststellungserklärung).

 

Ich verdeutliche dies an einem Beispiel: Ein Vater vererbt seiner Tochter und seinem Sohn 600.000 Euro und ein gleich wertvolles, vermietetes Wohn- und Geschäftshaus mit jährlichen Mieteinnahmen von 40.000 Euro und Werbungskosten von 10.000 Euro. Jedes Kind erhält 300.000 Euro und einen halben Anteil an der Immobilie. Somit stehen die hieraus erzielten Erträge beiden Geschwistern zu; die Werbungskosten sind von beiden zu tragen. Der jährliche Mietüberschuss von 30.000 Euro sowie die Zurechnung von jeweils 15.000 Euro werden bis zu einer eventuellen Erbauseinandersetzung mit einem eigenen Steuerbescheid festgestellt. In den Einkommensteuererklärungen der beiden Geschwister werden jeweils diese 15.000 Euro versteuert.

 

Setzt sich die Erbengemeinschaft jedoch innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall durch eine klare und rechtlich bindende Vereinbarung auseinander, werden die Erbengemeinschaft und deren Beteiligten so gestellt, als wenn diese Vereinbarung bereits im Zeitpunkt des Erbanfalls getroffen worden wäre.

 

Zu unserem Fall zurück: Die Geschwister einigen sich innerhalb dieser sechs Monate derart, dass die Tochter 600.000 Euro und der Sohn die Immobilie erhält, ist keine Feststellungserklärung erforderlich, weil die Vermietungseinkäufe rückwirkend ab dem Erbanfall nur dem Sohn zuzurechnen sind. Er versteuert in seiner Einkommensteuererklärung den gesamten Mietüberschuss von 30.000 Euro.

 

Die rückwirkende Erbauseinandersetzung wird auch über einen längeren Zeitraum als sechs Monaten anerkannt, sofern der Erblasser bereits die Modalitäten der zukünftigen Auseinandersetzung wirksam bestimmt hatte (Teilungsanordnung). 

 

Der Erwerb von Immobilien im Zuge der Erbauseinandersetzung ist im Übrigen von der Grunderwerbsteuer befreit.

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