30.05.2023 | Der Steuerratgeber - Kolumne im Wirtschaftsteil der Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten
Eine Betriebsaufgabe im Ganzen ist anzunehmen, wenn die für den Betrieb wesentlichen Wirtschaftsgüter innerhalb einer kurzen Zeit und damit in einem einheitlichen Vorgang, und nicht nach und nach, entweder in das Privatvermögen überführt oder an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen überführt werden. Der Betrieb muss als selbstständiger Organismus des Wirtschaftslebens aufhören zu existieren.
Entsteht bei der Aufgabe ein Gewinn, unterliegt dieser der Einkommensteuer. Dieser Aufgabegewinn ermittelt sich aus den Veräußerungspreisen der verkauften Wirtschaftsgüter zuzüglich der Werte der nicht veräußerten, in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsgütern abzüglich etwaiger Aufgabe- und Veräußerungskosten abzüglich der Buchwerte aller Wirtschaftsgüter.
Die Betriebsaufgabe unterscheidet sich von einer Betriebsveräußerung. Bei der Betriebsveräußerung werden alle wesentlichen Betriebsgrundlagen an einen Erwerber insgesamt veräußert.
In beiden Fällen werden die sogenannten stillen Reserven aufgedeckt. Dies bedeutet in der Regel eine erhebliche Härte, so dass der Gesetzgeber unter bestimmten Voraussetzungen einen Freibetrag in Höhe von höchstens 45.000 Euro und Vergünstigungen beim Steuertarif vorsieht.
Erfolgt die Veräußerung eines Betriebes gegen eine Leibrente so kann der Veräußerer zwischen der Sofortbesteuerung unter Ausnutzung der obigen Vergünstigungen und der Zuflussbesteuerung (nachgelagerte Besteuerung) wählen. Die Besteuerung erfolgt in diesem Fall erst, sobald und soweit die Summe der erhaltenen Leibrentenzahlungen die steuerlichen Werte des Betriebsvermögens und die Veräußerungskosten überschreitet. Auf die Behandlung des Zinsanteils soll hier aus Gründen der Klarheit nicht näher eingegangen werden. Die Zahlungen der Leibrente stellen dann im Jahr der jeweiligen Zahlungen nachträgliche Betriebseinnahmen dar. Der Freibetrag und die Vergünstigung beim Steuertarif entfallen bei dieser Variante jedoch. Die nachgelagerte Besteuerung muss aktiv beantragt werden.
Bei der Betriebsaufgabe hatte das Finanzamt das Wahlrecht jedoch bisher regelmäßig als nicht anwendbar angesehen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem der Betrieb aufgegeben wurde, ein Großteil der Wirtschaftsgüter gegen die Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente und der Rest der Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen überführt wurde. Während der bisherige Betriebsinhaber der Ansicht war, dass lediglich in Höhe der Differenz zwischen den Werten der ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter und deren Restbuchwerten eine Sofortbesteuerung zu erfolgen habe, vertraten sowohl das Finanzamt als auch das angerufene Finanzgericht die Ansicht, dass auch die stillen Reserven der gegen Leibrente veräußerten Wirtschaftsgüter bereits im Jahr der Betriebssaufgabe sofort zu versteuern wären. Ein Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung bestehe nur bei der Betriebsveräußerung, aber nicht bei der Betriebsaufgabe.
Diesem Vorgehen widersprach der BFH in seinem Urteil mit dem Aktenzeichen X-R-6/20:
Wie bei einer Betriebsveräußerung läge es in Interesse des früheren Betriebsinhabers, für diese Veräußerung nicht mehr Einkommensteuer zahlen zu müssen als er nach Maßgabe der tatsächlich zugeflossenen Rentenzahlungen müsste. Dieses Risiko wäre auch bei einer Betriebsaufgabe vorhanden. Würde der frühere Betriebsinhaber vor Erreichen seiner statistischen Lebenserwartung sterben, hätte er den gesamten Gewinn zu versteuern, der nachträglich nicht korrigiert werden könnte, da kein rückwirkendes Ereignis gegeben sei, so dass sich das vertragsimmanente Wagnis konkretisiert hätte. Aus diesem Grunde wäre die Inanspruchnahme der nachgelagerten Besteuerung für den Gewinn zulässig, der die gegen Rente veräußerten Wirtschaftsgüter betrifft.
Grundsätzlich sollte bei Aufgabe oder Veräußerung des Betriebes sorgfältig geprüft werden, ob der Regelfall der Sofortbesteuerung angewendet oder die Zuflussbesteuerung beantragt werden soll.
Ein Antrag auf nachgelagerte Besteuerung kann noch im Einspruchsverfahren gegen einen geänderten Steuerbescheid gestellt werden und zwar auch dann, wenn dieser Antrag bei der ursprünglichen Veranlagung nicht gestellt worden war.